• GESUND MIT BEUTEL AM BAUCH •
Durch den Bauch in einen Beutel kacken also. Als ich diese immer wahrscheinlicher werdende Option letztes Jahr im Herbst das erste mal gehört habe, konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Aber seither ist viel passiert.
Wie Ihr vielleicht wisst, bin ich im März 2019 am Darm operiert worden. Grund dafür war eine Spätkomplikation meiner Endometriose-OP. 2006 wurden mir im Zuge meiner Endometriose-Sanierung elf Zentimeter Dickdarm entfernt (Hier nachlesen: MEINE ENDOMETRIOSE GESCHICHTE). Die Naht im Darm ist damals schlecht verheilt. Es war dort ein klitzekleines Loch, und ich musste mit Entzündungen und Schmerzen kämpfen. Nach mehreren Krankenhaus-Aufenthalten hieß es nach etwa zwei Monaten, dass alles passt, alles verheilt ist.
Im Herbst 2018 dann der Schock: All meine Beschwerden nach der OP – die Verdauungsschwierigkeiten, die immer wiederkehrenden Schmerzen im Kreuz, die Bewegungseinschränkung im Bein, die ich in den vielen Jahren nach dieser OP immer wieder hatte, kamen von dieser schlecht verheilten Naht. Die ist nämlich nie ganz verheilt. Das klitzekleine Loch im Darm ist zurückgeblieben, und durch das sind immer wieder Keime in meinen Bauch gewandert.
Ein faustgroßer Abszess hatte sich zwischen meinem Darm und meinem Kreuzbein gebildet. Ein Fistelgang reichte tief in den Musculus piriformis, was die starken Schmerzen und die Bewegungseinschränkung verursachte. Im März 2019 wurde dieser Abszess entfernt, genauso wie das kaputte Stück Dickdarm. Die OP letztes Jahr war sehr aufwändig, ich war zwei Tage auf der Intensivstation und insgesamt drei Wochen im Krankenhaus. Danach brauchte ich sehr lange zum Erholen. Und als ich endlich das Gefühl hatte, langsam wieder die Alte zu werden, begannen plötzlich wieder Beschwerden. Schmerzen im Kreuz, die mich verdächtig an das Gefühl vor der OP erinnerten.
Ein MRT im Sommer zeigte dann: Der Abszess war wieder da.
Eine Rektoskopie im August zeigte ein Loch im Darm, eine Coloskopie im Oktober sogar zwei. Es hatte sich nicht nur wieder ein Abszess – an der exakt gleichen Stelle wie vor der OP – gebildet, sondern auch sehr unagenehme rektovaginale Fistelgänge.
Die Diagnose war niederschmetternd, aber auch der Moment, an dem ich beschlossen habe, all meine beruflichen Ambitionen ruhen zu lassen, um mich ausschließlich um mich selbst zu kümmern. Ich wollte einfach wieder gesund werden. Das war auch der Moment, wo ihr letztes Jahr plötzlich nichts mehr von mir gehört habt – kein Newsletter, keine Social-Media-Präsenz und auch keine Veranstaltungen mehr. Ich hatte keine Kraft und den festen Entschluss, meiner Gesundheit oberste Priorität einzuräumen. Vielleicht das erste Mal in meinem Leben völlig uneingeschränkt. Wie schwierig das mental und emotional für mich war, könnte (und wird wahrscheinlich demnächst) einen eigenen Blogpost füllen.
Im Herbst wurden dann viele Tests und Untersuchungen gemacht, um eine chronisch entzündliche Darmerkrankung wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa auszuschließen. Sie waren alle negativ. Schulmedizinisch gibt es nicht wirklich eine Erklärung dafür, warum sich diese Löcher im Darm und der Abszess an der gleichen Stelle wie vorher wieder gebildet haben. Ganzheitlich weiß ich inzwischen, womit ich es zu tun habe. Auch diese Erkenntnis und wie ich dazu gekommen bin, könnten einen eigenen Blogpost wenn nicht sogar ein Buch füllen (… vielleicht wird auch das einmal Wirklichkeit…!).
Auf jeden Fall war es genau zu der Zeit als rund um mich von all meinen behandelnden Ärzten die Stimmen immer lauter wurden, die mir zu einem künstlichen Darmausgang geraten haben.
Dabei wird der Darm durch eine Öffnung am Bauch nach außen geführt und festgenäht. Man klebt dann um diese Öffnung ein kleines Pastiksackerl, das den Stuhl auffängt. Der Gedanke daran, der mittlerweile für mich recht harmlos klingt, hat mich vor einem halben Jahr fast ausgeknocked. Eine Horrorvorstellung!
Mein Zustand war allerdings so schlecht, dass ich das Gefühl hatte, keine andere Wahl zu haben. Ich hatte ständig Schmerzen, musste mehrmals am Tag starke Schmerzmedikamente nehmen. Ich hatte permanent Durchfall, wog nur mehr 46,5 kg und konnte nicht schlafen. Denn nicht nur tagsüber musste ich manchmal fast halbstündlich die Toilette aufsuchen, sondern auch in der Nacht bin ich bis zu zehn Mal aufgewacht, um aufs Klo zu gehen. Und manchmal konnte ich den Stuhl gar nicht halten. Es war ein Albtraum.
Langsam – und mit viel Unterstützung meiner Familie, meiner Freunde und meines Support-Systems von Kollegen und vor allem meines Ström-Lehrers – habe ich mich mit dem Gedanken angefreundet, salopp gesagt in ein Sackerl an meinem Bauch zu kacken. Und Mitte März, gerade als alles wegen des Corona-Virus in einen Ausnahmezustand geraten ist, habe ich mich wieder unters Messer gelegt.
Es verlief alles wunderbar. Schon kurz nachdem ich aus der Narkose aufgewacht bin, kam mein Chirurg an mein Bett. Er hat mir berichtet, dass die OP viel besser und einfacher verlaufen ist, als er sich das vorgestellt hatte. Nach drei Tagen brauchte ich keine Schmerzmittel mehr. Nach sechs Tagen wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen.
Mein Leben seither ist herrlich.
Drei Wochen nach der OP habe ich mich schon besser gefühlt als alle Zeit in den zwei Jahren vorher. Mit dem Beutel am Bauch komme ich wunderbar zurecht. Ich fühle mich fit, kann wieder alles essen und trinken, mache Sport. Aber das wichtigste ist, ich kann wieder an meinem Leben teilnehmen. Erst jetzt merke ich, wie viel ich in den letzten Jahren verpasst habe, weil ich mich zu schlapp gefühlt habe oder weil dort, wo das Leben sich abgespielt hat, keine Toilette war.
Mein Stoma – so nennt man den künstlichen Darmausgang – ist so angelegt, dass es wieder rückverlegbar ist. Der Plan ist nämlich, im Herbst eine Bestandsaufnahme, eventuell eine Restsanierung und dann eine Rückverlegung zu machen. Der Plan ist, dass ich wieder ganz normal zur Toilette gehen kann, obwohl mir mittlerweile ungefähr dreißig Zentimeter Dickdarm und das Rektum fehlen. Es wäre schön, wenn das klappt. Aber wenn nicht, dann werde ich weiterhin mit meinem Beutel am Bauch gesund sein. Denn genauso fühle ich mich jetzt schon: gesund.
(Foto von Victoria Posch)
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